"Wicker Man" Ein Korb für Cage

Von Jens Lubbadeh
Auf der völlig abgeschottenen Insel Summersisle herrscht ein strenges Matriarchat. Der Polizist Edward Malus (Nicolas Cage) soll dort ein verschwundenes Mädchen suchen. Doch er ist unerwünscht - Männer taugen auf Summersisle nur zum Arbeiten und zur Fortpflanzung.

Auch Rezensenten haben's manchmal nicht leicht. Da setzt man sich bei heftigstem Regenwetter mittags schön gemütlich ins Kino und meint, ganz einfach seinen Job machen zu können, sprich: sagen, ob der Film gut, schlecht oder mittel war.

Es schien auch diesmal alles ganz normal: Nichts Weltbewegendes, aber man wurde gut unterhalten. Vor allem das Ende - ein bitterböser Knaller wie man ihn sich schon seit längerem in einem Film mal wieder gewünscht hat.

Dann wird die Sache doch komplizierter als gedacht:
1. Der Film entpuppt sich als Hollywood-Remake, dessen Original man peinlicherweise nicht kennt
2. Das Original soll ein absoluter Kultstreifen aus den 70ern sein, was das ganze noch peinlicher macht (bislang hielt man sich nämlich für einen Liebhaber und Kenner des Horror-Genres)
3. Ein Blick in die Internet Movie Database (IMDB) ist vernichtend: 3,5 von 10 möglichen Punkten haben mehr als 2400 User "Wicker Man" 2006 gegeben. Damit rangiert er in der Nachbarschaft von Filmen wie "Alien Autopsy", "The Godzilla Power Hour" und "Delta Force Commando", deren Titel allein schon nichts Gutes verheißen. Das 73er-Original hingegen sahnte 7,7 Punkte ab. Zum Vergleich: "2001 - Odyssee im Weltraum", der als einer der besten Filme aller Zeiten gilt, kommt auf 8,3 Punkte
4. Dennoch: Man fand den Film - wie gesagt - eigentlich ganz unterhaltsam
5. Aber: Die Erfahrung lehrt, dass Hollywood-Remakes europäischer Streifen fast immer schlechter sind als das Original

Nichts für Liebhaber des Originals

Nun gilt es zu entscheiden: Punkt 5 und vor allem Punkt 3 deuten recht objektiv in Richtung Verriss, Punkt 1 erinnert einen an das altbewährte Prinzip im Zweifel für den Angeklagten. Und Punkt 4 ist nun mal Fakt. Daher seien alle Liebhaber des 1973er-Wicker-Mans hiermit vorgewarnt - es spricht sehr viel dafür, dass das Remake Ihnen nicht gefallen könnte (die IMDB-Verreißer waren übrigens fast alle 73er-Fans).

Historisch unbelasteten Kinogängern kann jedoch keine bedingunglose Schau-Empfehlung gegeben werden, dafür hat es bei "The Wicker Man" 2006 nicht gereicht. Zudem könnte der relativ unspektakuläre Erzählstil so manchen einfach langweilen. Ein unterhaltsames Kinoerlebnis ist jedoch auch nicht ausgeschlossen. Könnte die innere Zerrissenheit des Rezensenten noch deutlicher zum Ausdruck kommen?

Was den Film trägt, ist vor allem die fesselnde Story - wenngleich man die auch wesentlich emotionaler hätte schildern können. "The Wicker Man" ist eine typische 70er-Jahre-Mystery-Horror-Geschichte mit starken religiösen und psychologischen Motiven. Auffallend gut passen die orchestralen Töne des Soundtracks zu den Bildern von Sonnenschein durchtränkten Hügeln und Wäldern.

Die Besetzung der Hauptrolle kann man nur mutig nennen. Vor allem für diese Entscheidung kassierte Regisseur Neil LaBute von den IMDB-Usern Prügel: Nicolas Cage spielt Edward Malus, einen Police Officer, der vom Pech verfolgt zu sein scheint. Bei einer Streife geschieht ein schrecklicher Unfall, als er einen Wagen mit einer Mutter und ihrer kleinen Tochter anhält. Ein Lastwagen rast in das Auto, das Feuer fängt und explodiert. Edward muss hilflos zusehen, wie Mutter und Tochter sterben.

Eine zweite Chance

Ein Brief reißt ihn aus seiner darauf folgenden monatelangen Verbitterung und Depression: Seine Ex-Verlobte Willow (schön anzuschauen, aber sonst recht unspektakulär: Kate Beahan), die ihn vor Jahren Hals über Kopf verlassen hatte, bittet ihn völlig unversehens um Hilfe - ihre Tochter ist verschwunden. Willow lebt auf der kleinen Insel Summersisle. Edward zögert, an den seltsam abgeschiedenen Ort zu fahren, will aber durch diese zweite Chance wieder mit sich selbst und seiner Vergangenheit ins Reine kommen.

Summersisle ist sowas wie eine Amish-Insel für Arme - die Bewohner leben unter mittelalterlichen Umständen, pflegen ein strenges Matriarchat. Organisiert wie ein Bienenstock umgarnen die "Schwestern" eine Königin (beeindruckend, wenn auch nur in einer Nebenrolle: Ellen Burstyn), erzeugen Honig und alle Agrarprodukte selbst. Das Matriarchat in "Wicker Man" 2006 ist einer der Hauptunterschiede zum 73er-Original, wo noch die Männer das Sagen hatten.

Nicolas Cage ist die Perfektion des Dackelblicks, die 45-Grad-Augenbrauen sein Markenzeichen - ganz hervorragend geeignet zur Darstellung von quälendem Selbstmitleid. Cage wirkt mit seinem einsamer-Helden-Habitus (den er seit Jugendzeiten auch persönlich pflegt, wie er in einem Interview verriet) in diesem mystisch-mysteriösen Szenario Summersisle wie ein Fremdkörper. Doch es ist gerade dieser Kontrast, der amüsiert - einfach herrlich, wie der lange Lulatsch Cage durch die Wälder stapft, mit coolen Sprüchen die verstörende Stimmung der verschlossenen Insel-Frauen konterkariert und wenn's sein muss auch einfach mal zuschlägt - Frauen wohlgemerkt.

LaBute mag diesen Kontrast bewusst aufgebaut und mit der Besetzung Cages provoziert haben, um das Ende noch drastischer erscheinen zu lassen. Seine Wirkung verfehlt das nicht - denn zuletzt bekommt Cage einen gewaltigen Korb.

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